Streit vermeiden, Streit beenden - sehr gut. Aber Streit aufarbeiten - klingt das für dich auch so nach Anstrengung und Mühe? Richtig. Aber es ist wichtig, um deine Beziehung voranzubringen.
Satt einen Streit aufarbeiten zu wollen, ist es vielen Paaren anscheinend oft lieber, diese unangenehme Arbeit zu vermeiden. Klingt überzogen? Einerseits ist es das bestimmt auch, aber andererseits begegnet mir das in meiner Praxis für Paartherapie immer wieder.
Hier geht es um das Thema „Streit aufarbeiten“. Wie man einen Streit beendet oder was in welcher Eskalationsstufe eines Streits zu tun ist oder wie man sich versöhnt, findest du in den verlinkten Blogartikeln.
Jeder aufgearbeitete Konflikt oder Streit, bringt uns menschlich weiter. Das gilt ganz besonders in der Partnerschaft!
Konflikte können in allen Lebenslagen auftreten. Manchmal kann man ihnen ausweichen. In einer Partnerschaft aber muss man sie lösen. Wenn man z.B. Streit mit einem Kollegen hat, kann man diesem Kollegen aus dem Weg gehen, eine Klärung innerhalb des Unternehmens anstreben oder viele andere Möglichkeiten finden, um eine fehlende Aufarbeitung zu ersetzen. Deinen Partner jedoch kannst du nicht in eine andere Abteilung versetzen.
Streit nicht klären – das sind die Folgen:
- Energieverlust
- Innere Zerrissenheit
- Verdrängen
- Wut und Zorn
- Ängste
- Aggressiver Stau
- Belastung
- Gedanklich in der Vergangenheit verhaftet sein
- Negative Gedanken
- Neigung zur Somatisierung (wenn Probleme körperliche Beschwerden verursachen): „ich habe die Nase voll“, “huste Dir etwas“, “es bricht mir das Herz“, „schlägt mir auf den Magen“, „liegt mir wie ein Stein im Magen“.
Paare, die keinen Streit aufarbeiten
Wenn Sie in einer Partnerschaft leben, in der sich Konflikte mit dem Gegenüber nicht aufarbeiten lassen, stecken Sie fest. Dann ist auf lange Sicht entweder professionelle Hilfe zu erwägen oder es könnte sich in Richtung Trennung entwickeln.
Wer sich liebt, streitet nicht?
Andererseits kann es auch sein, dass in deiner Partnerschaft Harmonie an erster Stelle steht. Dann ist Streit ein Tabu. Du wirstn einen Streit als Katastrophe empfinden und schnellstmöglich versuchen, wieder zur Tagesordnung zurückzukehren. Der Streit wird am besten vergessen – verdrängt und tief unter den Teppich gekehrt. Er soll nie stattgefunden und die Harmonie in Frage gestellt haben. Eine Aufarbeitung hieße, sich bewusst zu machen, dass auch ihr euch streitet. Doch hier bedeutet fehlende Aufarbeitung, dass die Falte unter dem Teppich eines Tages so groß wird, dass du darüber stolpern wirst.
Was wir verdrängen, gewinnt unbewusst Macht über uns. Leider wissen Paare oft nicht, wie man einen Streit konstruktiv aufarbeitet.
Konstruktiv streiten = konstruktiv Streit aufarbeiten
Konkret gibt es folgende Möglichkeiten, einen Streit nicht aufzuarbeiten:
- Themenwechsel
- Ablenken
- Aussitzen
- Herunterspielen
- Beleidigt sein
- Liebesentzug bis der andere einlenkt
- Kommunikation auf das Nötigste reduzieren
- Übertreiben
- Flucht nach vorne
- Eskalieren
- Einlenken
- Ausblenden
- Nachgeben
- Rational über Emotionen diskutieren
- Ins Kindchen-Schema fallen
All dies sind Verhaltensweisen, die eine erwachsene Aufarbeitung eines Streits unmöglich machen können.
Aufarbeiten eines Streits
Gefühle
Bevor du dich an die Aufarbeitung des eigentlichen Inhaltes des Streits machen solltest, rate ich, dass ihr zuerst gegenseitig erklärt, wie ihr euch gefühlt habt. Zeige deine Verletzungen. Rede ruhig, lassen den anderen ausreden und akzeptiere, dass sowohl du als auch der andere sich so gefühlt habt.
Absichten
Danach sollten eure Absichten kommuniziert werden. Was wollten du eigentlich? Was war deine ursprüngliche Intention?
Wahrgenommenes Verhalten
Wie hast du deinen Partner erlebt? Was ist deine subjektive Wahrnehmung des Handelns des anderen? Was kam bei dir an?
Häufig passt die innere Absicht nicht mit der Wirkung unseres Verhaltens zusammen. Das kann einerseits daran liegen, dass wir innerlich nicht authentisch waren, oder daran, dass der andere uns durch einen Filter wahrgenommen hat.
Missverständnisse
Beinahe immer ist Kommunikation in irgendeiner Form missverständlich. Sei es, dass aus einer neutral gemeinten Feststellung ein Apell, eine Beziehungsbotschaft oder eine Selbstoffenbarung herausgehört wird oder dass Worte unterschiedlich emotional aufgeladen sind. Manchmal fehlt uns auch der Kontext, den der andere voraussetzt.
Deshalb ist es bei der Aufarbeitung eines Streits wichtig, auch darüber zu sprechen.
Trigger
Einerseits gibt es Missverständnisse, die zu einem Streit geführt haben können. Doch es gibt in jeder Partnerschaft eine ganze Reihe von unsichtbaren Reiz-Reaktions-Verknüpfungen. Diese Trigger sind wie Knöpfchen. Drückt man diese wissentlich oder unbeabsichtigt, reagiert Ihr Partner entsprechend.
Die Aufarbeitung eines Streites können Sie nutzen, um die eigenen Knöpfchen und die Ihres Partners immer besser kennenzulernen.
Projektionen
In jedem Streit gibt es Dinge, die wir in die Worte, Absichten oder das Verhalten des anderen hineindeuteten. Ohne Projektionen kommen wir nicht durch den Tag. Oft sind es nur Vorannahmen. Etwas in der Vergangenheit Geschehenes lässt dich darauf schließen, dass sich in der Zukunft Ähnliches wiederholen wird. Vielleicht hat deine Partnerin früher erlebt, dass im Streit ihr jüngerer Bruder so richtig fies geworden ist. Das hat sich später leider in ihrer ersten Paarbeziehung ähnlich wiederholt. Du wirst nie fies, du liebst vielleicht Harmonie sehr. Doch diese Erfahrung ist womöglich inzwischen tief verankert. Sie hat den Eindruck gewonnen, dass Männer im Streit fies zu ihr sind. Das hat absolut nichts mit ihrer realen Situation zu tun. Doch ist es für deine Partnerin eine innere Realität, die sowohl ungeprüft als auch ungewollt zu einer Eskalation des Streites beitragen kann.
Nicht nur kleine Brüder können die Ursache von Projektionen sein. Wesentlich öfter kommt es vor, dass wir eigene Schwächen und Probleme dem anderen zuschreiben. Beispiel: Horst wirft Uschi vor, egoistisch zu sein. Sie hatte keine Lust auf Sex und sagte: „Ich habe gerade keine Lust auf Sex“. Wer ist daran egoistisch?
Horst wirkt seltsam, oder? Aber solche Dinge geschehen.
Wir sehen oft Eigenschaften im anderen, die wir uns selbst gegenüber nicht so gerne eingestehen wollen.
Projektionen beim Streiten bewirken, dass du dich sehr unverstanden fühlst. Eine Mischung aus Wut, Ohnmacht und Hilflosigkeit ist meistens die Folge.
Streit aufzuarbeiten, sollte das Klären von Projektionen beinhalten, damit einerseits wieder das wohlige Gefühl des Gesehen-Werdens Raum bekommt, damit Verständnis zu fühlen ist und du andererseits besser verstehst, was dein Partner innerlich im Streit erlebt hat.
Inhalte
Meist nimmt in der Streit-Aufarbeitung die inhaltliche Ebene einen relativ kleinen Raum ein. Um was ging es eigentlich? Das ist oft schnell geklärt. Hier handelt es sich oft um polare Ansichten, Wertekonflikte oder um Missverständnisse. Bei der Aufarbeitung von Streit geht es nicht darum, diese Inhalte zu einer Einigung zu führen. Die rein sachliche Ebene kann später besprochen werden. Das sollte dann ein Gespräch sein, welches sich um das Pro und Kontra kümmert und analytisch geführt wird.
Bevor allerdings dieser sachliche Inhalt eines Streits analytisch ausgeräumt werden kann, sollten du dich um die inoffiziellen, seelisch-emotionalen Hintergründe kümmern. Sind diese geklärt, kann man auch die sachlich kompliziertesten Auseinandersetzungen neutral und freundlich ausdiskutieren.
Doch das heißt nicht, dass du den sachlichen Aspekt verdrängen solltest! Es hat sich bewährt, dies zu bilanzieren und zu vertagen.
Wünsche
Partnerschaft ist eine „People-growing-machine“. Das gilt auch für das Thema Streit. Ein gut aufgearbeiteter Streit zeigt dir viel über sich selbst und viel über deinen Partner.
Was hältst du davon, dich künftig beim Aufarbeiten zu fragen:
- Wie hätte ich besser reagieren können?
- Was hättest du dir von mir gewünscht?
- Wie hättest du dich von mir verstanden gefühlt?
- Was kann ich nächstes Mal besser machen?
Zusammenfassung Streit aufarbeiten:
Einen Streit rein inhaltlich aufarbeiten zu wollen, ist wenig sinnvoll. Beschäftigen Sie sich erst damit, die anderen Bereiche zu reflektieren.
Brauchst du einen klärenden Blick von außen?
Oft sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Du fühlst dich verletzt und unverstanden. Verteidigst dich. Doch dein Partner fühlst sich ebenso wenig verstanden. Was tun?
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