Geht es um moderne Sexualtherapie, kommt niemand an David Schnarch vorbei. Doch warum? Was ist dran an seiner differenziellen Sexualtherapie?
David Schnarch hat einen spannenden Denkansatz. Er revolutionierte meiner Meinung nach die Sexualtherapie von Grund auf. Schnarch nennt seinen Leitgedanken differenzielle Sexualtherapie.
Der bekannte Sexualtherapeut und Forscher richtet sein Augenmerk auf die Selbstverantwortung, anstatt sich auf Symptome beeinträchtigter Sexualität zu fokussieren.
Sein Ansatz konzentriert sich auf die Konflikte in der Beziehung. Er möchte emotionale Intimität und Autonomie anregen. Ohnmachtsgefühle oder Hilflosigkeit verlieren ihren Raum. Die eigene Selbstbestimmtheit und Macht wird zurückgewonnen.
Schnarch steht dafür, dass gesunde Beziehungen auf gleichzeitiger emotionaler Intimität und Autonomie basieren. Konflikte in Beziehungen resultieren für ihn vorwiegend aus einer mangelnden Balance zwischen diesen beiden Aspekten.
David Schnarch hat seine differenzielle Sexualtherapie entwickelt, um Paare dabei zu unterstützen, nicht nur ihr Sexleben zu harmonisieren, sondern um ihre Beziehung zu stärken und vor allem ihre individuellen Bedürfnisse besser verstehen und ausdrücken zu lernen.
Wie wirkt die differenzielle Sexualtherapie?
Nicht die Sexualität sieht Schnarch als Ursache der Konflikte in der Partnerschaft, sondern Schieflagen in der persönlichen Autonomie. Sie führen zu weitreichenden Wirkungen, die letztlich auch die Sexualität beeinträchtigen.
So konzentriert sich seine Therapie darauf, sich die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zuzugestehen und effektiv auszudrücken.
Das ist schon eine ganze Menge. Die meisten von uns haben nie gelernt, sich Zeit und Raum für sich selbst zu nehmen und eigenen Bedürfnissen nachzufühlen. Darüber zu sprechen kann von Schamgefühlen beschwert sein. Bedürfnisse, die nicht den Erwartungen unseres Partners / unserer Partnerin entsprechen, werden ungern ins Licht gestellt. Doch genau über diese Schwelle möchte die differenzielle Sexualtherapie gehen.
Schuldzuweisungen an den Partner finden wenig Raum. Auch nicht, sich zu trennen und auf den nächsten Partner zu hoffen. Der wichtigste Schritt bei Schnarch ist das Durchleuchten der Beziehung zu sich selbst. Wir sollen lernen, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen, dann zu akzeptieren und schließlich auszudrücken.
Durch den Fokus auf die individuellen Bedürfnisse und das Erlernen eines Umgangs mit Konflikten trägt die Therapie nach David Schnarch dazu bei, Paare zu einer tieferen Verbindung und einem besseren Verständnis füreinander zu führen.
Trennung wird nicht als Lösung angesehen, wenn der Partner nicht den eigenen, oft nicht reflektierten Erwartungen entspricht. Stattdessen regt Schnarch die Entwicklung zu innerlich unabhängigen Menschen an.
Je bewusster wir sind, umso bindungsfähiger sind wir.
Differenzierung nach Schnarch bedeutet, dass wir zwischen Bindung und Autonomie selbstbewusst und in gutem Kontakt mit uns selbst bleiben.
David Schnarch hat vier Hauptpunkte herausgearbeitet, um Probleme zu lösen, die das sexuelle Verlangen beeinträchtigen.
Die 4 Säulen nach David Schnarch
Oft werden die vier Säulen auch die vier Aspekte des Gleichgewichts genannt.
Stabiles Selbst
Eigene Werte, Ziele und Prinzipien bestimmen das eigene Handeln. Man steht zu sich selbst. Gleichzeitig ist man offen für den Partner. Das Ziel ist emotionale Ausgeglichenheit und ein stabiles, erwachsenes Selbst, das gleichzeitig schwingungsfähig ist. Dies gelingt, wenn man frei wird von der Abhängigkeit, nach Bestätigung und Anerkennung durch andere zu suchen.
Stiller Geist, ruhiges Herz
Unangenehme Gefühle und Ängste werden gefühlt und angenommen. Es ist wichtig, sich selbst besänftigen zu können. Verantwortung für das eigene Wohlbefinden liegt bei uns selbst. Ziel ist emotionale Unabhängigkeit und die Fähigkeit, sich selbst wieder „einzufangen“.
Angemessen Reagieren
Schwierige Situationen begegnen uns ständig. Auch in der Partnerschaft. Das Aushalten von unerwünschten Gefühlen und Vermeidung des Hochschaukelns führen dazu, dass man Probleme frühzeitig lösen kann. Dazu gehört den Mut zu entwickeln, unangenehme Dinge authentisch anzusprechen.
Sinnvolle Beharrlichkeit
Auch wenn sich manches nicht auf Anhieb lösen lässt, ist es wichtig, bei Frustration, Versagensängsten oder Enttäuschungen dranzubleiben. Hier geht es um Resilienz.
Wichtige Bücher von David Schnarch
Der international anerkannte Psychologe, dessen Arbeit sich auf intime Beziehungen konzentriert, hat mehrere wichtige Bücher zum Thema Sexualität geschrieben, darunter “Intimität und Verlangen” und die “Psychologie sexueller Leidenschaft”.
In diesen Publikationen beleuchtet Schnarch, wie eine gesunde intime Beziehung durch Kommunikation, Verständnis und gegenseitiges Mitgefühl aufrechterhalten werden kann. Anhand von Beispielen aus der Praxis und seiner eigenen Expertenmeinung gibt er den Lesern wertvolle Ratschläge, wie sie die Gefühle ihres Partners verstehen und sinnvollere Interaktionen praktizieren können.
Ich habe dir beide Bücher sehr kurz zusammengefasst:
Die Psychologie sexueller Leidenschaft
Sexualität ist ein komplexer Aspekt der menschlichen Erfahrung, der oft durch eine Vielzahl von persönlichen Schritten und emotionalen Hindernissen beeinflusst wird. David Schnarchs Buch “Die Psychologie sexueller Leidenschaft” bietet einen Einblick in dieses Thema, indem es die zugrundeliegenden Ursachen von Intimität, Akzeptanz und Selbsterkenntnis erforscht, die die menschliche Sexualität freisetzen können.
Schnarch konzentriert sich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. Er sieht sie als integralen Faktor für das Verständnis des sexuellen Verlangens. Damit bietet er eine unschätzbare Grundlage für weitere Untersuchungen darüber, wie ein gesunder sexueller Ausdruck bei Einzelpersonen und Paaren gepflegt und gefördert werden kann.
Sexualität war schon immer eines der wichtigsten Themen in der Psychologie.
Schnarchs wissenschaftliche Gedanken haben einen großen Einfluss darauf, wie Menschen über sexuelle Leidenschaft denken.
Seine Theorien betrachten die menschliche Sexualität nicht nur als einen instinktiven Trieb, sondern vielmehr als einen Aspekt der psychologischen Entwicklung. Er geht davon aus, dass sexuelles Verlangen eher ein Ausdruck von Verbundenheit als von Lust oder körperlicher Anziehung ist, und dass sich dies im Laufe der Zeit in tiefen, bedeutungsvollen Beziehungen zwischen zwei Partnern zeigt. Sexuelle Leidenschaft wird oft von authentischen Verbindungen, der Kommunikation und dem Verständnis angetrieben, die zu einer tieferen Bindungserfahrung zwischen zwei Menschen führen. Daher ist es für diejenigen, die sich mit ihrer eigenen Sexualität auseinandersetzen, unerlässlich, die Bedeutung der Interaktion zu begreifen. Nur so können sie ihre Leidenschaften vollständig erforschen.
Intimität und Verlangen
Die Forschungen von David Schnarch über Intimität und Begehren zeigen, dass Selbstvertrauen der Schlüssel zur Entwicklung von Beziehungen ist. Sein Buch ”Intimität und Verlangen“ gibt Paaren praktische Ratschläge, wie sie starke, liebevolle Beziehungen aufbauen können.
Sexualität ist ein unglaublich kraftvolles Element jeder Beziehung – und indem wir sie aktiv erforschen, eröffnen wir uns das Potenzial, größere Höhen zu erreichen. Indem wir mehr über unsere eigene Sexualität und unsere Wünsche herausfinden, können wir eine neu entdeckte Nähe zu uns selbst und zu unseren Partnern herstellen. Das führt zu reicheren Empfindungen, die in einer erfüllenden Verbindung gipfeln.
Laut Schnarch spielt das Selbstvertrauen eine wichtige Rolle bei der Förderung von Intimität und Begehren. Er bezeichnet Selbstvertrauen als die Fähigkeit, Gedanken zu hinterfragen, die Machtdynamik zwischen den Partnern neu zu verhandeln und letztlich Entscheidungen auf der Grundlage von Selbsterkenntnis zu treffen. Durch die Anwendung von Selbstvertrauen in ihrer Beziehung können Paare ein tieferes Verständnis füreinander, gegenseitigen Respekt und zwischenmenschliches Engagement entwickeln.
Schnarchs komplizierte Begriffe
Hast du eines von David Schnarchs Büchern gelesen? Wenn ja, hast du dich vielleicht ebenso wie ich an den ungewöhnlichen Bezeichnungen gerieben.
Lass uns die wichtigsten betrachten:
Differenzierung und Selbstbild
Differenzierung, Selbstbild und emotionaler Stillstand sind alles Konzepte, die Schnarch in seiner Arbeit über die Entwicklung von Erwachsenen ausgearbeitet hat.
Differenzierung bezieht sich auf die Fähigkeit eines Menschen, unabhängig zu denken und seine eigenen Ideen und Gedanken objektiv zu bewerten, um Entscheidungen zu treffen, die ihm selbst entsprechen, anstatt sich ausschließlich auf äußere Quellen oder Einflüsse zu verlassen.
Das Selbstbild ist insofern eng mit der Differenzierung verbunden, als es die persönliche Wahrnehmung einer Person zeigt, die auf ihren Werten, Überzeugungen und Zielen basiert. Durch die Entwicklung guter Differenzierungsfähigkeiten sind wir in der Lage, ein gesundes Selbstbild zu entwickeln, das ein authentisches Selbst widerspiegelt.
Das emotionale Patt
Schnarch ist der Ansicht, dass es in intimen Beziehungen häufig zu einer emotionalen Pattsituation kommt, insbesondere wenn es um die Sexualität geht.
Laut Schnarch tritt eine solche Situation ein, wenn zwei Partner um die Kontrolle der Macht in der Beziehung kämpfen; ein Partner hat typischerweise mehr Durchsetzungsvermögen als der andere, was zu stagnierendem Fortschritt oder Zyklen von Rückzug und Aggression führen kann.
Um aus der Pattsituation auszubrechen, ist es wichtig, dass beide Partner Schritte unternehmen, um ihr Verhalten zu ändern und den Respekt füreinander auf konstruktive Weise zu erhöhen.
Mit einem besseren Verständnis für die Sichtweise und die Bedürfnisse des jeweils anderen können beide Personen zu einem neuen Zustand der Harmonie und einer gesünderen Beziehung finden.
Die kritische Masse
David Schnarch bietet eine interessante Perspektive auf das Konzept der kritischen Masse, die er als wesentlich für das Erreichen eines zufriedenstellenden Niveaus sexueller Intimität in Beziehungen ansieht.
Er stellt zwei Hauptwege gegenüber, auf denen Paare sexuelle Intimität kultivieren können:
„Erotisches Getrenntsein und Sicherheit in der Verschmelzung”.
Wobei jeder Partner in der Lage sein muss, sich in der Trennung vom anderen wohlzufühlen.
Dazu muss jeder Partner ein starkes Selbstbewusstsein entwickeln, das dazu beiträgt, dass sie eine kritische Masse erreichen, um gemeinsam erfüllende sexuelle Erfahrungen zu machen.
Sexualität wird auf diese Weise als etwas betrachtet, das die Partner einander näher bringen soll. Gleichzeitig soll sie jeder Partei helfen, ihre eigene Individualität und Stärke herauszubilden und zu entwickeln. Das ermöglicht eine tiefe Verbindung zwischen beiden Partnern, selbst in Zeiten von Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten.
Schnarchs Kritik an der klassischen Paar- und Sexualtherapie
David Schnarch kritisiert die klassische Paar- und Sexualtherapie.
Seiner Meinung nach geht sie nicht genügend in die Tiefe und büßt deshalb Wirksamkeit ein. Er argumentiert, dass viele Paare nicht nur sexuelle Probleme haben, sondern diese ihren Ursprung in Beziehungsdynamiken hätten.
Aus dieser Sicht heraus ergibt es wenig Sinn, mit oberflächlichen Techniken oder Verhaltensänderungen an den Symptomen der sexuellen Probleme herumzutherapieren.
Schnarch zufolge gehen traditionelle Therapieansätze oft von einem passiven Menschenbild aus. Äußere Korrekturen, wie Verhaltensänderungen in der Sexualität, sollen für die Lösung der Probleme und gar für eine glückliche Partnerschaft sorgen. Doch dieser Ansatz erkennt nicht an, dass jeder Partner eine eigene Persönlichkeit ist. Dass jeder Mensch eigene Bedürfnisse hat, die in einer Partnerschaft berücksichtigt werden müssen.
Ein integrativer Ansatz muss her, fordert David Schnarch:
- Individuelle Bedürfnisse sollen erforscht werden
- Jeder Partner muss die Verantwortung für sein eigenes Wachstum und die eigene Entwicklung selbst übernehmen
- Beide Partner sind in der Lage, ihre eigenen Bedürfnisse auszudrücken
- Beide Partner übernehmen die Verantwortung für die Beziehung
Schnarch argumentiert, dass die Sexualität ein wichtiger Teil einer Beziehung ist und dass eine starke Sexualität ein Indikator für eine starke Beziehung insgesamt ist. Eine gesunde Sexualität kann jedoch nicht durch oberflächliche Techniken oder Verhaltensänderungen verbessert werden, sondern erfordert tiefgreifendes persönliches Wachstum und Verantwortung für die eigene Sexualität.
Insgesamt kritisiert Schnarch die klassische Paar- und Sexualtherapie für ihren Mangel an Tiefe und ihren Fokus auf oberflächliche Symptome statt auf tiefgreifendes persönliches Wachstum und Verantwortung. Stattdessen plädiert er für einen integrativen Ansatz, der sowohl auf individuelle Bedürfnisse als auch auf die Beziehung selbst abzielt.